Der erste Auftrag


Der erste Auftrag als Videograf

Faszination Video

Kurz nach dem ich meine Lehre als Konstrukteur angefangen habe, habe ich den Youtube Kanal "Devinsupertramp" entdeckt. Er produzierte Lifestyle- und Naturvideos. Die Aufnahmen sahen wunderschön flüssig aus und ich wunderte mich, wie er das machte. Wenige Monate später hatte ich ein Kamerastabilisator (Glidecam) gekauft und die kleine Sony Handycam meines Vaters darauf geschraubt. In den Familienferien spielte ich damit ununterbrochen herum. Damals haben meine Freunde Mountainbike gefahren und als ich ankündigte, dass ich von ihnen ein Video machen will, waren sie ganz schön erfreut. Die fertigen Videos stellten wir auf Facebook und Youtube. Erstaunlicherweise haben die Videos nicht nur unsere Eltern geschaut, sondern ein größeres Publikum. 



Videos stossen auf Publikum

Irgendwann hat mich dann ein Sportgeschäft für ein Video angefragt. Er meinte, dass ihm die Videos gefallen und er ebenfalls eines möchte. Als das Meeting beendet war und ich wieder draußen war, konnte ich mein Glück kaum fassen. Ich war stolz, dass die Videos auf Gefallen stoßen und sogar so viel, dass jemand bereit ist dafür Geld auszugeben. Und ich war glücklich, denn ich wusste mit dem Ertrag kann ich ein neues Objektiv anschaffen. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was ich den dafür verlangen sollte. Ich schätzte den Wert auf 100 CHF. Ungefähr 50 CHF für den Dreh und 50 CHF für den Schnitt - so meine Überlegung. Dieses Projekt ist aber dann nie zustande gekommen. 

Kurz vor Weihnachten hat mich ein anderer Videocreator kontaktiert und hat mir einen Auftrag vermittelt, dachte ich auf jeden Fall. Es hat sich dann herausgestellt, dass er sich den Auftrag teilen möchte. Er bat mir ebenfalls an, bei ihm übernachten zu können. Ein zweitägiger Dreh, Schnitt und Anreise für 400 CHF. Für mich war völlig klar: Auf geht’s!

Mit der Kamera durch die Nacht

In einem dunklen Kämmerchen wartete der Clubbesitzer. Er trug eine Lederjacke, hatte Tattoos auf dem Hals, eine Glatze und eine lange Narbe auf der Stirn. Die Wand hinter ihm hatte mehrere Bildschirme mit der Übertragung der Überwachungskameras. Ich kam mir vor wie in einer Filmszene. Er erklärte uns, dass der DJ um 02:00 käme und dass er möglichst viele Frauen auf den Aufnahmen sehen möchte. Er war eher einer der wortkargen Sorte. 

Es war durchaus eine ungewöhnliche Atmossphäre für mich. Während sich die anderen halb elegant und voll betrunken auf der Tanzfläche bewegten, standen andere nur herum und glotzten. Einige Gäste riefen mir weil sie unbedint auf dem Video sein wollten, andere kamen zu mir gerannt weil ich den letzten Clip löschen sollte. Die Begründung dafür war, dass sie gerade mit jemandem geknutscht hat und ihr Freund Zuhause das nicht sehen soll. Schräg eingefahren sind mir auch die Tänzerinen die unter der Dusche auf der Bühne tanzten und dass man tortz Raucherverbot im Lokal ununterbrochen gequalmt hat. 

Ich ging also zwei Nächte lang mit einer kleinen Led-Lampe auf meiner Kamera durch den Club und suchte die besten Szenen. Für mich zählte nur das Bild, also hatte ich auch kein Problem damit, die Besucher mit der Lampe ins Gesicht zu leuchten. 

Nach zwei Nächten im Club mit rauchiger Luft, war ich erschöpft und habe den Clip über die Weihnachtsferien geschnitten. Der Auftraggeber war weiterhin wortkarg, aber er hat sogar einen Schnitt bestellt. 

Es war ein durchaus aufregender Auftrag, bei dem ich viel Neues gesehen habe und der zum Teil auch etwas Ärger mit sich brachte. Heute würde ich weder so ein Auftrag annehmen noch ein solches Video produzieren, aber damals war es eine tolle Gelegenheit. Als praxisorientierter Mensch habe ich immer einen hohen Tatendrang und eine Tendenz die Planung als geringe Priorität zu sehen. So war dies nur der erste von vielen aufregenden, mühsamen und unterbezahlten Aufträge, an denen ich gewachsen bin. 


Luc Stähli, 05.11.2020

www.lsbehindthecamera.com



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